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Blankettstrafvorschrift im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch verfassungsgemäß

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  • 58 Abs. 3 Nr. 2 sowie § 62 Abs. 1 Nr. 1 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB) sind mit den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nach Artikel 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 Satz 1 und 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die verfahrensgegenständliche Regelung – eine Blankettstrafnorm mit Rückverweisungs- und Entsprechungsklausel – trägt der kompetenzsichernden Funktion des Bestimmtheitsgebotes noch hinreichend Rechnung und lässt noch hinreichend klar erkennen, welche Verstöße gegen unionsrechtliche Vorschriften strafbewehrt sind.

Sachverhalt:

Dem Angeklagten des Ausgangsverfahrens wird unter anderem ein Verstoß gegen § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB zur Last gelegt. Das Landgericht hat die Hauptverhandlung ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 58 Abs. 3 Nr. 2 sowie § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB mit Art. 103 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar und daher nichtig sind.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

  1. § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB ist – soweit Prüfungsgegenstand – mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes (noch) vereinbar.
  2. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dadurch soll zum einen sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit entscheidet. In seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot enthält Art. 103 Abs. 2 GG die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären. Der Gesetzgeber hat selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit zu bestimmen und darf diese Entscheidung nicht den Organen der vollziehenden Gewalt überlassen. Zum anderen hat Art. 103 Abs. 2 GG auch eine freiheitsgewährleistende Funktion. Jeder Teilnehmer am Rechtsverkehr soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Eine Strafnorm muss so gefasst werden, dass der Normadressat im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen kann, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht.

Der Gesetzgeber muss den Tatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften verweisen, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und wenn diese Vorschriften den Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind. Dabei kann der Gesetzgeber auch auf Vorschriften eines anderen Normgebers verweisen, denn eine solche Verweisung bedeutet rechtlich nur den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen. Das gilt auch für Verweisungen auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union.

Die mit einer Verweisung in aller Regel verbundene gesetzestechnische Vereinfachung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der verweisende Gesetzgeber sich den Inhalt von Rechtsvorschriften des anderen Normgebers in der Fassung zu eigen macht, wie sie bei Erlass seines Gesetzesbeschlusses galt. Verweist ein Gesetzgeber hingegen auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung, kann dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überlässt. Allerdings sind solche dynamischen Verweisungen nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern nur soweit Rechtsstaatlichkeit, Demokratiegebot und Bundesstaatlichkeit dies erfordern; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen.

Bei einem Blankettstrafgesetz ersetzt der Gesetzgeber die Beschreibung des Straftatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen – auch künftigen – Gesetzen oder Rechtsverordnungen. Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik ist verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht. Das gilt auch für Blankettstrafgesetze, die Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Verbote oder Gebote eines unmittelbar anwendbaren Rechtsakts der Europäischen Union bewehren und zu diesem Zweck auf das Unionsrecht verweisen. Dem Bestimmtheitsgebot genügen solche Gesetze jedoch nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe müssen also bereits entweder im Blankettstrafgesetz selbst oder in einem in Bezug genommenen Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sein. Legt die Blankettstrafnorm nicht vollständig fest, welches Verhalten durch sie bewehrt werden soll, sondern erfolgt dies erst durch eine nationale Rechtsverordnung, auf die verwiesen wird, müssen daher die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Rechtsverordnung vorhersehbar sein. Um den Grundsatz der Gewaltenteilung zu wahren, darf dem Verordnungsgeber lediglich die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt werden, nicht aber die Entscheidung darüber, welches Verhalten als Straftat geahndet werden soll.

  1. Die Vorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB ist eine Blankettstrafnorm, die die Strafandrohung nach Art und Maß der Strafe regelt und das verbotene Verhalten in seinem Kern als Zuwiderhandlung gegen unmittelbar geltende Vorschriften des Unionsrechts beschreibt. Dabei werden die strafbewehrten Verbotsvorschriften des Unionsrechts aber nicht lediglich abstrakt skizziert. Vielmehr werden sie aufgrund der Entsprechungsklausel über § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB und die in dieser Vorschrift genannten Verordnungsermächtigungen in der nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB zu erlassenden Rechtsverordnung als solche zu bezeichnende Verhaltensvorschriften konkretisiert, die der Verordnungsgeber in den in § 58 Abs. 1 Nr. 18 LFGB genannten Fällen selbst regeln dürfte.

Diese Regelungstechnik trägt der kompetenzsichernden Funktion des Bestimmtheitsgebotes, soweit die Vorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweist, noch hinreichend Rechnung. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit sind auf gesetzlicher Ebene noch hinreichend deutlich beschrieben. Auf Ebene eines formellen Gesetzes werden das geschützte Rechtsgut und die Tathandlung umschrieben. Die Verlagerung der Konkretisierungskompetenz in dem von § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB bestimmten Ausmaß ist nicht zu beanstanden. Durch die Delegation spezifizierender Regelungssetzung auf den Verordnungsgeber soll ohne zeitaufwendiges Gesetzgebungsverfahren eine beschleunigte, kurzfristige Anpassung des Rechts an sich ändernde Verhältnisse erfolgen können. Die Regelung wesentlicher Fragen durch den Gesetzgeber wird auch im vorliegenden Fall nicht in Frage gestellt. Bei der industriellen Herstellung oder Behandlung von Lebensmitteln handelt es sich in der Regel um einen hochtechnisierten Prozess. Dessen Detailregelung erfordert spezifisch-technischen Sachverstand und die zeitnahe Berücksichtigung des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass es dem Verordnungsgeber obliegt, die gegenständlichen Stoffe, Gegenstände oder Verfahren näher zu konkretisieren, die vorgeschriebenen Verfahren zu bestimmen oder die Anforderungen zu benennen, die an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen von ihm zu bestimmender Lebensmittel gestellt werden. Damit hat der Verordnungsgeber zwar eine weitreichende Regelungskompetenz mit Blick auf einzelne Tatbestandsmerkmale. Inhaltlich geht es dabei jedoch um eine von technischem Sachverstand geprägte, kurzfristige Umsetzung der für die Bewertung von Gefahrenpotentialen beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Handlungsanweisungen. Dem Verordnungsgeber obliegt danach lediglich die Konkretisierung technischer Details.

Ein vorbehaltsloses Bezeichnungsrecht steht dem nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ermächtigten Verordnungsgeber nicht zu. Dem Verordnungsgeber verbleibt bei der Ausübung der ihm danach eingeräumten Befugnisse auch kein substantieller Ausgestaltungsspielraum. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Überlagerung des nationalen Lebensmittelrechts durch das Lebensmittelrecht der Europäischen Union kann das nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB ergangene nationale Verordnungsrecht in seinem Anwendungsbereich zurückgedrängt werden. Der nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ermächtigte Verordnungsgeber ist daher nicht berufen, die nähere Konkretisierung der Verhaltensgebote und Verbote im Hinblick auf einzelne Tatbestandsmerkmale des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB, namentlich die Bestimmung der verbotenen Gegenstände, Stoffe oder Verfahren, die Bestimmung der gebotenen Verfahren oder die Bestimmung der konkreten Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen von zu bestimmenden Lebensmitteln, selbst vorzunehmen, sondern allein dazu, im Sinne einer (hypothetischen) Konkretisierung durch eine entsprechende Bezeichnung zu bestimmen, welche Regelungen er selbst hätte erlassen können, gäbe es die entsprechenden Bestimmungen des Unionsrechts nicht.

Die Grundentscheidung über die Frage der Strafbarkeit trifft unverändert der Gesetzgeber. Er legt durch die über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweisende Entsprechungsklausel hinreichend fest, dass Verstöße gegen unionsrechtliche Verhaltensgebote und Verbote im Zusammenhang mit der Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren bei der Herstellung oder Behandlung von Lebensmitteln oder den Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen bestimmter Lebensmittel zu sanktionieren sind. Auch das einer Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen immanente Risiko eines später nicht tätig werdenden Verordnungsgebers besteht nicht. Die Entsprechungsklausel eröffnet einen zwingend auszufüllenden Rahmen, denn der Verordnungsgeber ist unionsrechtlich verpflichtet, seinem Bezeichnungsauftrag nachzukommen.

Jedenfalls soweit die Vorschrift des § 58 Abs. 3 Nr. 2 über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB verweist, genügt sie auch den Anforderungen der freiheitssichernden Komponente des Bestimmtheitsgebotes. Bei der Frage, welche Anforderungen an die Erkennbarkeit des strafbaren Verhaltens anhand des formal-gesetzlichen Regelungsgehaltes zu stellen sind, ist hier das normative Leitbild eines sach- und fachkundigen Normadressaten zugrunde zu legen. Der gesetzliche Regelungsgehalt erschließt sich den – im Bereich der Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelhandels tätigen und daher typischerweise sachkundigen – Normadressaten durch das Zusammenlesen der Einzelnormen aus der Kette der § 58 Abs. 3 Nr. 2, § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB. Der Aufwand bei der Normlektüre und der gedanklichen Umsetzung der Verweisungen ist damit zwar deutlich erhöht, führt vorliegend aber noch nicht dazu, dass der gesetzliche Regelungsgehalt nicht mehr erkennbar wäre. Inhaltlich zeigt der Regelungsgehalt der § 58 Abs. 3 Nr. 2, § 58 Abs. 1 Nr. 18 und § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB dem spezialisierten Normadressaten die wesentlichen Voraussetzungen strafbaren Verhaltens auf.

  1. Die Vorschrift des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ist – soweit Prüfungsgegenstand – mit den aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar.

Mit den in die Betrachtung einzubeziehenden Vorgaben des § 58 Abs. 3 Nr. 2 LFGB und dessen Verweisung über § 58 Abs. 1 Nr. 18 auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB ist der Inhalt der Ermächtigung des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB ausreichend detailliert vorgegeben und hinreichend bestimmt. Wegen der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB enthaltenen Bezugnahme auf die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 beziehungsweise Abs. 3 LFGB vorgegebene Zwecksetzung ist auch festgelegt, dass die Bezeichnung der Tatbestände – anders als im Falle des § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. (vgl. hierzu Pressemitteilung Nr. 78/2016 vom 3. November 2016) – nicht bloß der erforderlichen Durchsetzung (irgendwelcher) Rechtsakte der Europäischen Union dient, sondern nur solcher in unionalen Rechtsakten enthaltener Tatbestände, die ein abstrakt oder konkret für die menschliche Gesundheit gefährliches Verhalten zum Gegenstand haben. Das Ausmaß der Ermächtigung ist dabei aufgrund der Entsprechungsklausel darauf beschränkt, solche Bestimmungen des Unionsrechts zu bezeichnen, die der Verordnungsgeber auf Grundlage von § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB selbst hätte erlassen können. Die in der Entsprechungsklausel in Bezug genommene Verordnungsermächtigung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LFGB stellt danach die gesetzgeberische Entscheidung zu Inhalt und Programm der Ermächtigung des § 62 Abs. 1 Nr. 1 LFGB dar. Damit ist – wiederum anders als bei § 10 Abs. 3 RiFlEtikettG a. F. – erkennbar, dass der Verordnungsgeber von seiner Ermächtigung in den Fällen Gebrauch machen muss, in denen bei dem Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von Lebensmitteln Gefahren für die menschliche Gesundheit drohen. Erkennbar ist auch, dass die entsprechende Bezeichnung von Tatbeständen ein Verbot oder eine Beschränkung der Verwendung bestimmter Stoffe, Gegenstände oder Verfahren oder das Gebot der Anwendung bestimmter Verfahren sowie Anforderungen an das Herstellen, das Behandeln oder das Inverkehrbringen zu bestimmender Lebensmittel zum Gegenstand haben kann.

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