Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat zu einem sprunghaften Anstieg der Preise für Öl und Gas geführt und damit die bereits vor Ausbruch des Krieges bestehenden Inflationsrisiken signifikant erhöht, schreibt Axel D. Angermann, Chef-Volkswirt des Investmenthauses Feri-Gruppe, in einem aktuellen Marktkommentar.
Auch wenn Sanktionen des Westens explizit so ausgestaltet sind, dass russische Energielieferungen weiterhin bezahlt werden können, beschränke der Ausschluss wichtiger Banken aus dem SWIFT-System und die Sanktionen gegen die russische Zentralbank die Verwendungsmöglichkeiten Russlands für die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft erheblich. Dies könnte Putin laut Angermann zu Gegensanktionen verleiten: Eine Verringerung oder sogar der Stopp russischer Energieexporte nach Europa bleibt ein Szenario mit signifikanter Wahrscheinlichkeit. Neben diesen beiden Rohstoffen sind auch die Preise für Weizen – ein Viertel des weltweiten Exports stammt aus Russland und der Ukraine – und für Palladium – 40 Prozent des für Fahrzeugkatalysatoren verwendeten Metalls stammt aus Russland – anfällig für deutliche Preissteigerungen. Weil sich der Konflikt mit Russland länger hinziehen werde, müsse insgesamt mit einem dauerhaft erhöhten Preisniveau für Rohstoffe gerechnet werden.
Modellrechnungen von Feri zeigen, dass die Inflationsrate im Euroraum, die bereits jetzt über fünf Prozent liegt, in den kommenden Monaten auf bis zu sieben Prozent steigen und auch danach nur langsam zurückgehen dürfte. Ende des Jahres 2022 könnte sie immer noch bei rund 4,5 Prozent liegen und wäre damit knapp zwei Prozentpunkte höher als die bisherigen Prognosen, so Angermann. Im Jahresdurchschnitt ergäbe sich damit eine Inflationsrate von knapp sechs Prozent. Auch in den USA werde sich der Inflationseffekt aufgrund der indirekten Wirkung steigender Preise für russisches Öl und Gas auf das globale Energiepreisniveau bemerkbar machen. Laut Angermann sei der Effekt dort mit einer im Jahresdurchschnitt um etwa einen Prozentpunkt höheren Inflation aber weniger stark ausgeprägt als im Euroraum.
„Die Rückkehr der Inflationsraten auf das von den Notenbanken angestrebte Niveau von etwa zwei Prozent rückt damit in immer weitere Ferne. Das hat auch Folgen für die Konjunktur: Die anhaltend hohe Inflation wird die Wachstumsdynamik im Euroraum im Jahr 2022 um etwa 0,3 Prozentpunkte und im kommenden Jahr um etwa 0,5 Prozentpunkte dämpfen. Der Aufschwung bleibt aber insgesamt intakt, was höhere Lohnforderungen der Arbeitnehmervertreter zum Ausgleich der hohen Inflation nach sich ziehen dürfte. Damit wächst die Gefahr einer Verfestigung des allgemeinen Preisauftriebs.
Während sich die Fed von den jüngsten Ereignissen kaum von ihrem bereits klar eingeschlagenen geldpolitischen Straffungskurs abbringen lassen dürfte, verschärft sich das Dilemma für die EZB noch einmal zusätzlich: Die aus einem exogenen Preisschock resultierenden wirtschaftlichen Belastungen für den Euroraum könnten ein Anlass sein, den Einstieg in die geldpolitische Straffung nochmals aufzuschieben. Allerdings hat die Reputation der EZB zuletzt erheblich darunter gelitten, dass sie die Inflationsgefahr viel zu lange kleingeredet und die Lage insgesamt falsch eingeschätzt hat. Wie der EZB-Rat dieses Dilemma auflösen will und ob es ihm überhaupt gelingt, ist die große Frage, die EZB-Chefin Lagarde auf der spannendsten Sitzung seit langem am 10. März beantworten muss“, so Angermann abschließend. (DFPA/JF1)
Die 1987 gegründete Feri-Gruppe mit Sitz in Bad Homburg ist in den Geschäftsfeldern Vermögensberatung und -verwaltung sowie Wirtschaftsforschung tätig. Seit 2006 gehört die Unternehmensgruppe zum MLP-Konzern. Derzeit betreut Feri zusammen mit MLP ein Vermögen von 53 Milliarden Euro, darunter knapp 13 Milliarden Euro alternative Investments. Die Feri-Gruppe unterhält neben dem Hauptsitz in Bad Homburg weitere Büros in Düsseldorf, Hamburg, München, Luxemburg, Wien und Zürich.